Insbesondere das Fühlen ist bei hochbegabten Kindern besonders intensiv.
Da spielt es keine Rolle, ob Wut, Angst oder Freude. Scheint gerade noch alles im Gleichgewicht, donnert es auf einmal raus und dem Kind bricht ein Schwall an Gefühlsausbrüchen aus.
Was ist eigentlich Wut und wo kommt sie her?
Wir alle kennen das – wir sind auf der Arbeit, unterhalten uns in einem Meeting. Auf einmal fällt uns ein Kollege ins Wort. Bei uns steigt der Puls…
Anderes Beispiel: Hunger. Wenn wir sehr hungrig sind und es kommt wieder einer der uns am Gang an den Kühlschrank hindert, zicken wir ihn an.
Hinter Wutanfällen stecken oft unerfüllte Bedürfnisse. Diese können physischer (Hunger) oder psychischer (Anerkennung) Natur sein.
Wir alle haben Bedürfnisse. Die physischen (Nahrung, Schlaf,..) sind jedem sofort verständlich. Daher möchte ich hier auf die eher psychischen Bedürfnisse eingehen:
Liebe, Zugehörigkeit
Anerkennung, Wertschätzung
Autonomie, Selbstbestimmung
Sicherheit, Schutz
Sind dies Bedürfnisse erfüllt, fühlen wir uns wohl.
Wut ist normalerweise nicht einfach da. Wut ist eher eine Reaktion auf einen Auslöser.
Kommen wir wieder zu unseren Kindern. Hochbegabte Kinder sind anders normal als andere. Viele leiden darunter, keine Klicke zu haben, der sie angehören und nicht viele Freunde zu haben (Zugehörigkeit). Hochbegabte Kinder haben schon in frühen Kinderjahren ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Autonomie und Selbstbestimmung.
Und ein Kind, welches in der Schule links liegen gelassen wird, weil seine Bedürfnisse nicht gesehen werden, wird sich kaum anerkannt und wertgeschätzt fühlen.
Wut ist ein Zeichen von Überforderung, ein Ausbruch von Hilflosigkeit, Verzweiflung, Enttäuschung und Unsicherheit. Hochbegabte Kinder wissen, wie etwas funktioniert und sind frustriert, wenn es nicht auf Anhieb funktioniert. Oft lassen sie es direkt sein, weil sie es eh nicht so perfekt hinbekommen, wie es sein sollte. Versuchen sie es doch, bleibt hängen „ich bin zu blöd dafür und überhaupt bin ich viel zu dumm“. Das Ende vom Lied ist, dass sie sich vor lauter Angst und Verzweiflung so begrenzen, dass sie keinen neuen Versuch starten.
Hochbegabte Kinder haben ihre Antennen überall – in der Klasse registriert es das Naseputzen des einen, das Papierrascheln des anderen, ein Stift fällt runter, ... All das bekommt das Kind mit. Da kann es schon mal passieren, dass vor lauter Gewusel und Nebengeräuschen die Frage der Lehrkragt einfach nicht durchdringt. Prompt kommt eine Rückfrage, das Kind kommt ins Straucheln. Eh schon ständig missverstanden verstärkt sich das Aliengefühl. Und wenn dann die Mitschüler noch lachen…
Tägliches Erleben. Und nun stellt euch mal folgende Szene vor: Das Kind kommt nach Hause, grußlos. Schon am Gang und wie es die Tür öffnet, spürt ihr das Gewitter, welches in der Luft liegt.
Das Kind kommt die Tür rein, der Rucksack fliegt in die nächstbeste Ecke, Jacke und Schuhe hinterher.
„Alles scheiße“ brüllt das Kind mit immer schriller werdender Stimme und ehe eine Reaktion möglich ist, verschwindet es Türe knallenderweise im Zimmer.
Was tun wir?
Erste mögliche Reaktion: Wir rennen hinterher, fauchen das Kind an, dass es ja wohl nicht zu viel verlangt ist „Guten Tag“ zu sagen und dass wir im Haus keine Türen knallen. Und überhaupt, was fällt dem Kind eigentlich ein, sich so zu benehmen?? Die wenigsten Kinder werden dann kleinlaut zustimmen – eher wird sich das Karussell weiterdrehen, Kind und Eltern schaukeln sich schreiend gegenseitig hoch.
Zweite Möglichkeit: Da ist ein Gewitter, das Kind muss sich erst einmal abreagieren und sein Zimmer ist sein Zimmer, sein Rückzugsort. Wir halten fest: Das Kind ist sauer. Warum auch immer, spielt eigentlich keine Rolle. Es hat sich geärgert, ist frustriert, hat sich gestritten, egal. Kommt das Kind nicht von allein raus, halten wir ein paar Minuten durch und atmen tief durch, klopfen an und fragen ganz verständnisvoll: „Hey, ich habe das Gefühl, dass dein Tag heute nicht wie gedacht gelaufen ist und du dich über irgendetwas oder irgendwen geärgert hast. Was hältst du davon, wenn wir uns jetzt einen Kaffee/Kakao machen und du mir in Ruhe erzählst, was alles passiert ist?“
Wir nehmen das Kind fest in den Arm und setzen uns erst mal gemütlich mit einem Keks hin.
Was also tun, wenn die Wut die Oberhand gewinnt?
Wichtigste Regel wäre zu Beginn, dass man das Kind mit seinem Gefühl akzeptiert. Jede Emotion ist wichtig und richtig, egal, ob gut oder schlecht. Wenn das Kind vor Freude einen Lachanfall bekommt oder vor Traurigkeit weint, bremsen wir es doch auch nicht aus!
Gefühle zu unterdrücken kann fiese Folgen haben, denn irgendwann hören wir nicht mehr auf unsere Gefühle. Dass führt dazu, dass
wir in der schlechten Situation hängen bleiben
wir unsere eigenen Grenzen nicht setzen
wir keine konstruktiven Wege kennenlernen, mit unseren Gefühlen umzugehen
Keiner ist gerne wütend – auch die Kinder nicht. Keiner bleibt gerne in einem schlechten Gefühl. Umso wichtiger ist es, einen guten Weg zu finden, damit umzugehen.
Kommen wir zurück zum Küchentisch: Wir sitzen gemütlich bei Kaffee und Keks und bitten die Wut gerne dazu. Wir nehmen sie ernst. Wo genau sitzt die Wut in dem Kind, wie fühlt sich die Wut an? Und wie hätte das Gegenüber reagieren sollen, damit die Wut gar nicht erst aufkommt?
Es ist wichtig, Gefühle zu formulieren und zu kommunizieren. Anstatt den Rucksack in die Ecke zu pfeffern könnte das Kind lernen, sein Gefühl zu beschreiben: „Das hat mich so sauer gemacht, dass ich mit dem Idioten zusammenarbeiten muss!“ oder „Ich wünsche mir von der Lehrerin, dass sie mir endlich andere Aufgaben gibt“.
Wieder sind wir Eltern gefragt, denn woher soll das Kind das denn alles wissen? Wir dürfen nicht vergessen, dass die Kinder oft reden wie Erwachsene, aber sie sind Kinder. Und Kinder lernen vom Abgucken und im Grunde genommen besteht ein Großteil der Erziehung im Vormachen. Wenn das Kind die Eltern nie mit einem Buch in der Hand sieht, dürfen wir uns nicht ernsthaft wundern, wenn aus dem Kind keine Leseratte wird. Wie reagieren wir, wenn wir wütend sind? Woher hat es das bloß…?
Wir können in einem nächsten Schritt versuchen, das gesehene Erleben mit eigenen Worten wiederzugeben: „Ich habe das Gefühl, dass du dich unverstanden und nicht gesehen fühlst“. Dadurch kann das Kind lernen, seine Gefühle einzuordnen und somit besser wahrzunehmen.
Auch können wir an anderen Beispielen Gefühle zeigen, in dem wir das Kind darauf aufmerksam machen: „Hast du das Lachen gesehen? Das andere Kind hat sich gefreut, als du ihm etwas von deiner Schokolade abgegeben hat“ oder „hast du das traurige Gesicht gesehen, weil du deine Schokolade nicht teilen wolltest?“ In diesem Fall können wir als Dolmetscher fungieren, indem wir Gefühle anderer benennen und für das Kind übersetzen.
Nimm die Wut ernst und zeige, dass du auf der Seite des Kindes stehst. Wie gesagt – jede Emotion ist erst einmal gut! Und solange das Kind in seinem Gefühl ist, bringen noch so logische Argumente oder Beschwichtigungen (ach, ist doch nicht so schlimm) rein gar nichts. Hau auch nicht in die gleiche Kerbe, zeige dem Kind, dass du wie ein Fels in der Brandung hinter ihm stehst. Reden kann man danach immer noch. Denn Unsicherheit braucht Sicherheit.
Es gibt viele Strategien, mit Wut umzugehen. Einige brauchen einen Boxsack, hauen ins Kissen, schreien die Wand oder ein Kuscheltier an, hören Musik,… . Manchmal darf man auch gemeinsam über einen Freund schimpfen.
Nicht alle Kinder sind gleich. Welche Lösungsidee bei dem einen voll daneben geht, kann für die andere Familie der Gamechanger sein!
Fragen wir in einer ruhigen Minute die Kinder, was sie brauchen. Insbesondere hochbegabte Kinder wissen ziemlich genau, was sie brauchen.
Haben sich Verhaltensmuster bereits gut eingefahren, braucht es unter Umständen länger, diese Muster wieder loszulassen. Bleibt dran und werft die Finte nicht direkt ins Korn, wenn Maßnahmen nicht auf Anhieb funktionieren.
Don´t forget:
Wir Eltern sind auch nur Menschen. Manchmal ist es zu viel. Auch Eltern haben einen Tag hinter sich und einfach nicht immer die Kraft der Fels in der Brandung sein. Nicht schlimm. Geht aus der Situation, werdet selbst wieder ruhig. Wie ihr damit umgeht, zeigt auch dem Kind eine Möglichkeit!
Comments